Das Kino des vorigen Jahrhunderts, das analoge Lichtspiel, und das Leben sind sich ähnlich. Die eine Hälfte sind wir wach, sehen Bilder, mit aufgerissenen Augen, staunend und weinend, lachend und voller Zorn. Die andere Hälfte schlafen wir, stolpern durch die Dunkelheit, träumen vielleicht und warten, daß wir wieder aufwachen und ins Leben zurückkehren. Horst-Dieter Sihler, der Kärntner Kulturchronist und Autor, resümierte über den Beginn seiner Krankheit, die seine Nabelschnur zur Welt für lange Zeit durchtrennte, folgendermaßen: „Ich war gestorben, so empfand ich es persönlich, als ich allmählich wieder aufwachte und mich wie auf einem fremden Planeten, wie in einem fremden Leben, neu einrichten und neu orientieren musste und alles um mich herum neu entdecken.“

Tatsächlich starb HDS erst 25 Jahre später, am vorletzten Tag im Oktober, durch einen Schlaganfall wiederum auf die dunkle Seite des Mondes versetzt, im Krankenhaus, im Schlaf: „Wir schlafen alle abends ein und wachen morgens wieder auf. Auch der Tod ist nur ein Schlaf. Nur eben ein Schlaf ohne Erwachen.“ An diesem vorletzten Oktobertag traf ich etwas später meinen Freund und Kollegen Klaus Pertl im Cafe Pazzo, wie immer, wenn ich in Klagenfurt war, und überbrachte ihm die traurige Nachricht. Wir tranken Kaffee und Bier und waren recht wortlos; im Jänner wollten wir uns ohnehin in Wien treffen. Dann, am vierten Tag im November, stürzte Klaus vom Dach des von ihm geleiteten Klagenfurter Kinomuseums und verunglückte tödlich.

Bis die Todesnachricht von HDS in der Zeitung stand, vergingen fünf Tage; die von Klaus brauchte nicht einmal zwölf Stunden; biografisches zum Leben, faktisches zum Tod. Horst-Dieter Sihler war 60 Jahre lang Kulturchronist, bemühte sich um Programmkinos und war 1972 mit den ersten österreichischen Filmtagen in Velden Geburtshelfer des späteren Diagonale-Festivals. Er schrieb insgesamt fünf Bücher, die im Wieser-Verlag erschienen sind. Klaus Pertl war pensionierter ORF-Mitarbeiter und Betreiber des Klagenfurter Kinomuseums am Lendkanal. Dort ist die Kinogeschichte jetzt stehen geblieben.

Beide, Horst-Dieter Sihler und Klaus Pertl, lernte ich 2016 in Klagenfurt kennen, aus dem gleichen Grund: Kino. HDS begegnete ich bei der Vorstellung seines Buches „Mein Kino des 20. Jahrhunderts“ und Klaus, weil ich einen Radiobeitrag über sein Kinomuseum machen wollte. Über sieben Jahre hinweg entstanden eine Reihe von Radio- und Videobeiträgen. Mit Klaus gestaltete ich ein Jahr lang die Kinosendung „FilmLogbuch“ bei Radio Agora 105.5; über das letzte Buch von HDS, „Haus im Sommer“, drehte ich den Kurzfilm „Bilder einer verlorenen Landschaft.“ Beide treten in „Komet Koroška“ auf, nichtsahnend, und von einem Augenblick zum anderen zur Erinnerung geworden. Im Film ist Klaus zu sehen, wie er Aufnahmen mit einer Eumig Super-8-Kamera macht. Die Cassette steckt noch im Gerät, im Dunklen, sie schläft; niemand wird die Bilder entwickeln lassen, die mich zeigen, wie ich Klaus filme. 24 Bilder pro Sekunde; 24-mal ein Wechsel von Licht und Dunkelheit. Im Schlaf warten wir darauf, daß die Bilder zurückkommen. Manchmal tun sie das nicht. Dann ist der Film zu Ende.

Links

> radioROSTA-Beitrag zum Tod von HDS und Klaus Pertl
> Horst-Dieter Sihler (Interviews, Videos etc.)

Klaus Pertl in "EWIGKEITSGASSE. Kultur aus dem Kunstraum" (TV):
> Über Kärntner Landkinos (Juni 2019)
> Das Kino-Dia (Juli 2020)
> 15 Jahre Klagenfurter Kinomuseum (Juni 2022)
> Auf der Jagd nach dem schwarzen Chauffeur (Juni 2023)

> Radioprojekt DAS FILMLOGBUCH (2021/22, Radio Agora 105.5)
> ROSTA im Klagenfurter Kinomuseum (2023)
> Kurzfilm "Komet Koroška" (2022/23)